Nachlese
Am späten Nachmittag des Sonntags besuchten viele Interessierte aus Flaurling und der Umgebung den Kultursaal in Flaurling,
um NachtSchatten, unser heuriges Jahresprojekt, zu sehen - besser gesagt zu hören.
Denn die berührenden Gedichte von Berta Kuen - sensibel vorgetragen von der tiroler
Schauspielerin Christine Stallbaumer - zogen die Besucher in ihren Bann. Die Texte gaben die Gefühlswelt einer scheinbar einfachen Bäuerin, die vor
100 Jahren lebte, preis. Sie waren für die Zuhörer von heute trotzdem nachvollziehbar. Wahrscheinlich nachvollziehbarer, als so manch
aufwendig produzierter Film über das Kriegsgeschehen an der Front, denn die Schlichtheit der Darbietung ließ die oft sehr leidvollen
Inhalte der Gedichte direkt und unverfälscht bei den Zuhörern ankommen.
Überraschend waren auch die kurzen Balladen, die an Orten spielten, die Berta Kuen selbst nie sah, aber sehr bildhaft beschrieb.
Die Musiker Stephan Moosmann und Harald Pröckl hatten ihr Musikprogramm auf die
Gedichte abgestimmt und spielten stimmungsvoll Haydn, Weil, Pirchner, Mozart und Volksmusik. Diese Musik gab die Möglichkeit,
den Worten von Berta Kuen noch einen Augenblick nachzuhängen.
Mit den Ergebnissen ihrer Recherche ging Mag. Vera Skalet der Frage nach, was Frauen das hohe Maß an Verantwortung und
Selbständigkeit,
das ihnen plötzlich und unfreiwillig aufgebürdet wurde, gebracht hat. Sie zeichnete das Bild einer aus allen Fugen
geratenen Gesellschaft, in der Frauen bis zur totalen Erschöpfung versuchten, ihre aussichtslose Situation zu meistern - und trotzdem
Verliererinnen blieben. (arw)
Berta Kuen
Gedichtfragmente einer Flaurlingerin, Mutter, Bäuerin und Soldatenfrau im 1. Weltkrieg.

Das Schreiben war in jener Zeit unter bürgerlichen Frauen zwar verbreitet (z. B. Tagebücher), aber von Frauen am Land gibt es kaum
Aufzeichnungen über ihren Alltag oder ihr Gefühlsleben. Wenn, dann finden sich Anhaltspunkte in Briefen an Gatten, Brüder und
Söhne an der Front. Umso wertvoller sind die Gedichte, die von Berta Kuen, geb. Gruber (1878-1917) aus Flaurling erhalten sind. Sie sind
zwischen 1914 und 1916 entstanden und auf ihre Art ein berührendes Zeitzeugnis.
Christine Stallbaumer liest die sehr persönlichen Gedichte, die von Angst, Verzweiflung, Liebe, Hilflosigkeit und Glauben handeln - in einer
uns unvorstellbaren Zeit.
Mag. Vera Skalet und Andrea Raggl-Weissenbach geben Einblick in die Familiengeschichte Kuen und den sozialen Hintergrund zur gesellschaftlichen
Stellung der Frauen jener Zeit. Sie stellen damit die Inhalte der Gedichte in einen Zusammenhang, der das Leben im ländlichen Raum des
Kronlands Tirol spiegeln.
Musikstücke, die die Stimmung der Verse musikalisch zum Ausdruck bringen, runden das Programm ab (Stephan Moosmann, Klarinette und Harald
Pröckl, Akkordeon).
In einer kleinen Ausstellung werden die Originaltext und Dokumente gezeigt, die über den 1.Weltkrieg in der Chronik und im Dorf
gefunden wurden.
(arw)